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20.10.2025 Anästhesiologie

Lawinenverschüttung: Tragbares Gerät verfünffacht die Überlebenszeit

Klinische Studie verspricht mehr Sicherheit für Ski- und Bergbegeisterte

März 2023, in den Dolomiten auf 2.000 Metern Höhe, eine Lawinensimulation: Über fünfzig Zentimeter Schnee bedecken 24 Freiwillige, die mit dem Gesicht nach unten liegen. Auf ihrem Rücken ein Rucksack mit einem integrierten Gerät, das Lawinenopfern helfen soll, länger zu überleben. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung des Eurac Research Instituts aus dem italienischen Bozen begleitet das eisige Experiment – unter ihnen auch Univ.-Prof. Dr. Tobias Kammerer von der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln. Die Ergebnisse der dazugehörigen Studie wurden kürzlich in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „JAMA“ veröffentlicht.

Die Hälfte der Freiwilligen hat ein in den Rucksack integriertes Gerät auf den Schultern, das Luft aus dem Schnee hinter dem Rücken ansaugt und vor das Gesicht pumpt – die andere Hälfte trägt denselben Rucksack, aber mit einem funktionslosen Gerät. Von der letzten Gruppe, der sogenannten „Kontrollgruppe”, brechen vier Teilnehmende das Experiment aufgrund von Atemnot vorzeitig ab. Sieben von ihnen bleiben durchschnittlich 6,4 Minuten lang verschüttet, bevor die Sauerstoffsättigung unter 80 Prozent fällt und das Experiment – wie vom Protokoll vorgesehen – abgebrochen wird.

In der Gruppe mit dem funktionierenden Gerät beendet niemand aufgrund von Atemnot den Test, nur in einem Fall endet das Experiment vorzeitig – nicht jedoch aufgrund von Sauerstoffmangel. Alle anderen elf Teilnehmenden bleiben bis zur maximal vorgesehenen Dauer von 35 Minuten verschüttet, ohne einen relevanten Abfall des Sauerstoffgehalts im Blut. Das Ergebnis: In einer realen Situation hätte für die Rettung mehr als fünfmal so viel Zeit zur Verfügung gestanden, und auch der Eintritt eines Herzstillstands hätte sich voraussichtlich verzögert.

Für das internationale Team war das Experiment an sich schon eine Herausforderung, da die Testpersonen vollständig im Schnee verschüttet wurden und zu befürchten war, dass mehr als zwei Drittel von ihnen notfalls schnell ausgegraben werden müssten. Die Freiwilligen waren begeisterte Skitourengeherinnen und Skitourengeher, etwa zur Hälfte Frauen, und zwischen 23 und 54 Jahre alt. Die Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen waren äußerst streng, doch alles verlief reibungslos.

„Feldforschung im freien Gelände stellt stets eine besondere Herausforderung dar. Die vorliegende Studie markiert zweifellos einen Meilenstein in der alpinen Notfallmedizin. Umso mehr freut es mich, gemeinsam mit unserer Doktorandin Viviane Dörck an diesem faszinierenden Projekt mitgewirkt zu haben. Die hochrangige Publikation belegt eindrucksvoll, dass sich die intensive Planung in jeder Hinsicht gelohnt hat“, sagt Prof. Kammerer.

Das Gerät nutzt die Luftdurchlässigkeit des Schnees – ein Prinzip, das von derselben Forschungsgruppe bereits analysiert worden war –, um sauerstoffreiche Luft anzusaugen und sie mithilfe einer elektrischen Pumpe vor Nase und Mund zu leiten. Sobald das Gerät über einen Griff an den Schultergurten des Rucksacks aktiviert wird, pumpt es Luft mit bis zu 150 Liter pro Minute und für etwa 90 Minuten nach vorne. Dank dieses Luftstroms reicht selbst eine kleine Atemhöhle aus, damit eine verschüttete Person mit freien Atemwegen trotz ausgeatmetem Kohlendioxid für mehr als 35 Minuten überleben kann.

Insgesamt beteiligten sich folgende Institutionen an dem Experiment: Eurac Research (Italien), Universität Bergen und Universitätsklinikum Haukeland (Norwegen), Norwegian Air Ambulance Foundation, CNSAS – italienischer Berg- und Höhlenrettungsdienst, WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF (Schweiz), Uniklinik Köln (Deutschland), Medizinischen Universität Innsbruck (Österreich), Universität Padua (Italien), mit logistischer Unterstützung des Alpinen Ausbildungszentrums der Finanzwacht (Scuola Alpina della Guardia di Finanza) und der Skiliftanlagen des Rolle-Pass.